IT ORGANISATION 2025 INTERVIEW MIT DR. ROLAND WERNER HEAD OF DIGITAL @ TECHEM

„Daten müssen geschützt, aber vor allem genutzt werden“

Die Organisation in Produktteams für digitale Dienstleistungen ist anstrengend, aber ein sinnvolles Investment in die Firmenzukunft, erklärt Dr. Roland Werner, Head of Digital des globalen IT-Bereichs beim Eschborner Energiedienstleister Techem, im Gespräch mit Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der kobaltblau Management Consultants GmbH.

Dr. Roland Werner, Head of Digital bei Techem

Thomas Heinevetter: Wie entwickelt sich das Zusammenarbeitsmodell und die Zukunft der IT-Organisation bei Techem? Hierzu stelle ich Ihnen vier mögliche Szenarien vor: 1. Das Extrem-Modell, die vollständige Integration beziehungsweise Verschmelzung von Business und IT mit End-2-End Produktteams. 2. Eine starke Verschmelzung – Stichwort Plattform-IT. Die IT zerfällt dabei in zwei Teile. Der Applikationsorientierte-Teil verschmilzt mit dem Business zu End-to-End-Produktteams. Der zweite Teil der IT verbleibt als eigene Organisationsform und dient als Plattformprovider. 3. Teilverschmelzung oder Produkt-IT, mit virtuellen Produktteams als Layer über den klassischen Organisationsformen. 4. Schwache Verschmelzung oder Hybride IT; diese ähnelt der heutigen Organisation. Es gibt zwar virtuelle Teams, aber dominant ist die klassische Plan-Build-Struktur.

Dr. Roland Werner: Digitalisierung von Prozessen funktioniert nur mit einem Team. Sie setzt die Integration von Domänen- und IT-Wissen voraus. Optimal ist die Einführung von Produktstrukturen, die multidisziplinär besetzt sind: mit fachlichem Experten, Produktmanagern, Prozesskennern bis hin zu IT-Spezialisten. Wir sind in den entscheidenden Bereichen auf dem Weg zu Szenario zwei – mit Tribes und Squads.

Heinevetter: Gibt es Fachbereiche, die für Pilotprojekte prädestiniert sind, weil sie heute schon eine hohe IT-Integration aufweisen?

Werner: Kundenprodukte, die bei uns einen hohen datengetriebenen Anteil haben, besitzen bei uns die höchste Priorität. Sie liegen im Kern der Wertschöpfungskette. Hier lässt sich der Digitalisierungsdruck insbesondere in Richtung digitale Kundeninteraktion abmildern. Denn in diesem Bereich sind Unternehmen nicht nur von interner Motivation der Optimierung getrieben, sondern auch vom Wettbewerb und vom Kundenbedarf.

Heinevetter: Welchen Einfluss wird das Thema Citizen Developer auf die Verschmelzung oder die Integration aus Ihrer Sicht haben?

Werner: Ein nennenswerter Anteil der internen Supportanwendungen kann durch Low-Code-Ansätze zukünftig ergänzt oder abgelöst werden. Der Softwareentwickler wiederum hat dann Freiraum für die Entwicklung komplexer, skalierbarer Software. Ob die IT-Industrie es allerdings schafft, entsprechende Low-Code-Werkzeuge auch für skalierbare Endkundenprodukte anzubieten, steht auf einem anderen Blatt. Da bin ich derzeit zurückhaltend.

Heinevetter: Gibt es die Rolle der Citizen Developer bei Techem?

Werner: In den Fachbereichen gibt es Mitarbeiter, die sehr autark sind und sich auch passende Werkzeuge und Apps bauen, die über die Nutzung von Excel hinaus gehen – vor allem mit BI-Tools. Man sollte nicht für die kleinste Änderung in der IT-Abteilung anklopfen und ein Requirement stellen müssen. Die Aufgabe der IT ist sich ersetzbar zu machen, wo es geht.

Heinevetter: Ist Schatten-IT eine Herausforderung oder Unterstützung, wenn Fachbereiche heute schon eine hohe Affinität zu IT-Aufgaben haben?

Werner: Unsere Geschäftsführung fährt in Sachen „Schatten-IT“ heute einen einheitlichen und klaren Kurs. In der Vergangenheit wurde schon mal von den Fachbereichen Software angeschafft, die dann angepasst und von Externen betreut werden musste. Diese ´Schatten-IT´ wird derzeit zu ´richtiger IT´ – auch getrieben durch die steigenden IT-Security-Anforderungen. Und: Beide Seiten gewinnen Erkenntnisse. Die Fachbereiche erkennen, wie komplex das Thema IT ist, und die IT-Seite merkt, dass fundiertes Domänenwissen nötig ist.

Heinevetter: Aus welchen Mitgliedern besteht ein ideales Produktteam bei Techem?

Werner: Es sind Produktmanager dabei und Mitarbeiter einer Abteilung, die sich über das Außenprodukt Gedanken machen – über Preis, Wettbewerberangebote oder Kundenwünsche. Enthalten sind außerdem Kollegen, die die Serviceprozesse verstehen, und ITler, die wissen, wie und auf welcher Plattform die Prozesse optimal unterstützt werden. Bei übergreifenden Themen spielt der Product Owner eine wichtige Rolle, der die Produktziele und -eigenschaften kommunizieren kann und mit starkem Prozess- sowie System-Lead das Team unterstützt und die jederzeitige Transparenz und Abstimmung sicherstellt.

Heinevetter: Wie wird sich das Demand Management weiterentwickeln?

Werner: Demand Management ist und bleibt wichtig. Man kann darüber streiten, mit welchen Tools und Techniken. Ich präferiere Tools, in denen alle ihre User-Stories dokumentieren können und in denen es auch eine gemeinsame Bewertung gibt. Dabei muss jeder in der Lage sein, Stories einzubringen, IT und Fachbereich.

Heinevetter: Sie nutzen Begrifflichkeiten aus der Spotify-Welt, beispielsweise Squads oder Tribes. Diese Veränderung der Produktorientierung bedingt häufig auch, dass die Grundaufstellung zwischen People und Product Lead verändert wird. Wie ist Techem heute aufgestellt?

Werner: Wir haben heute nur noch einen kleinen Querschnittsbereich, der sich um die Core-Services wie IT-Infrastruktur und das Rechenzentrum kümmert. Die Masse der Mitarbeiter ist dagegen in vier sogenannten Tribes aufgestellt – nach Domänen organisiert. Ein Tribe ist zuständig für den Bereich Online-Services, also Portale und Apps und ein weiterer Tribe für die Unterstützung der Techniker im Feld und den IoT-Datentransport in die Cloud. Ein dritter Tribe verantwortet und optimiert unsere Kernsysteme für Ablesung, Abrechnung, Kundenmanagement. Letztlich gibt es noch einen ERP-Tribe – für die SAP-Themen und auch für interne Supportprozesse.

Heinevetter: Ist das Thema Architektur dann Bestandteil in jedem der Tribes?

Werner: Architektur ist ein weiter Begriff. Ich unterscheide zwischen Enterprise Architecture als Bestandteil des Governance-Bereichs und Solution- oder Software-Architektur, die gehört zu den Tribes denn sie ist in Teilen spezifisch. In einer eher übergreifenden Chapter-Struktur – bei uns eine Art Community – werden Skills zusammengehalten. Damit sind wir Ende-zu-Ende organisiert – auch bei den Schnittstellen zwischen Systemen.

Heinevetter: People und Product Lead ist dann meist in einer Person gebündelt?

Werner: Das war auch ein Wunsch der Mitarbeiter: Innerhalb der IT sollten bestimmte Brüche vermieden und eine gewisse Konstanz gewahrt werden. Wir versuchen, jedes System, jedes Produkt, jedes Projekt eindeutig zuzuordnen und gemeinsam mit den Fachbereichen zu verankern. Meine Erwartungshaltung an den Tribe ist, dass er seine Produkte mit seinem Counterpart im Business definiert, den Service einfordert und Kontakt zu den Führungskräften der Squads hält.

Heinevetter: Dann brauchen Sie auch kein Ressourcenmanagement?

Werner: Eine kleine Stabsfunktion behält die Übersicht und steuert die Kapazitäten im Gesamtteam und sorgt für die Einhaltung der Governance-Regeln. Denn IT braucht Leitplanken.

Heinevetter: Macht es Sinn, zudem eine eigene Datenorganisation innerhalb des Unternehmens aufzubauen, die sich zentral um alle Data LifeCycle-Prozesse kümmert oder sind das eher Aspekte, die in allen Teams dezentral berücksichtigt werden müssen?

Werner: Grundsätzlich sollte die Wichtigkeit der Data LifeCycle-Themen allen Fachbereichen und Mitarbeitern bewusst sein. Ein kleines Team zur Unterstützung kann nicht schaden – es muss aber nicht in der IT angesiedelt sein. Im Rahmen der Business-Projekte bauen wir nun sukzessive eine moderne Datenplattformschicht auf, in der alle Daten – auch aus Altsystemen – zusammengeführt sind: den „Single Point of Truth“, der die internen, strategischen und taktischen Prozesse genauso wie die externen Kundenprodukte bedienen kann.

Heinevetter: Ist dann morgen ein Chief Data Officer nötig?

Werner: Dispositive Analytik und operative Datenverarbeitung wird es in Zukunft so nicht mehr geben, sondern sie werden verschmelzen. Auf Basis einer Plattform werden wir in Zukunft taktische und strategische Entscheidungen fällen und außerdem die Kunden in den Portalen bedienen. Vorausgesetzt, dass die richtige Software-Architektur gewählt wird. Dafür kommt nur die Cloud in Frage mit Mut und entsprechenden Fähigkeiten. Das Leben in einer Big-Data-Welt wird die gesamte IT-Arbeit prägen. Und Big Data heißt für mich: Die Analytik muss zu den Daten kommen und nicht die Daten zur Analytik. Operative Datenverarbeitung, Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen – es muss alles auf dieser Plattform stattfinden.

Heinevetter: Das sind doch sehr unterschiedliche Kompetenzen, oder?

Werner: Sie befruchten sich gegenseitig. Beispiel: Mitarbeiter benötigen gespeicherte Daten von Sensoren, die analysiert werden sollen. Allerdings ist nicht jeder ein Data Scientist. Hier müssen in den gemeinsamen Architekturrunden oder Squads die Data Scientists mit den Data Management-Spezialisten zusammenarbeiten, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Das Problem: Oft steht das Rollenverständnis im Weg – nach dem Motto: Wir müssen die Daten schützen, sie dürfen nicht verloren gehen und sie dürfen auf gar keinen Fall in die Cloud. Aber: Daten müssen nicht nur geschützt, sondern gleichzeitig auch genutzt werden. Das ist ein Spagat. Der ist zu schaffen, wenn der CIO gleichzeitig wie ein CTO denkt. Auch die Datenschutzgesetze und neueste Cyber-Abwehrtechniken muss er kennen und im Sinne der Kunden und des Unternehmens treiben.

Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der kobaltblau

Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der kobaltblau

Heinevetter: Was machen Data Scientists bei Techem?

Werner: Sie generieren Nutzen. Wir haben keine Data Science, die für die Grundlagenforschung zuständig ist. Vielmehr hat sie einen klaren Suchauftrag, der Produkte konkret verbessern soll. Analysiert werden beispielsweise zunächst Messdaten, um Bedarfe in der Optimierung der Datenstrecken festzustellen. Dann erst beginnt der Data Scientist zusammen mit dem Data Management mit der Suche nach Möglichkeiten, die das Produkt optimieren.

Heinevetter: Haben Sie ein Kernteam, das sich um die kompletten Prozesse rund um das Thema Data kümmert?

Werner: Auf der IT-Seite gibt es eine Initiative, die sich um Projekte und Datenanalyse in der Cloud kümmert. Ein flankierendes Team hat die IoT-Gerätetechnik und Cloud-Kommunikation im Fokus. Es gibt bei uns auch ein Team an Data Stewards, die sich mit den Fachbereichen um die Datenqualität und Datenschutz kümmert. Übergreifend arbeiten die Fachbereiche und die spezialisierten Teams gut zusammen. Diese erfolgreiche Kombination funktioniert am besten mit Menschen, die ein Faible haben für Technologie und diese Chancen auch verstehen, die in den Daten liegen. Wer als CIO oder CTO oder Head of Digital die Möglichkeiten von Big Data, künstlicher Intelligenz und hierauf aufbauender Automatisierung nicht durchdrungen hat, kann auch keine IT-Strategie für die nächsten fünf Jahre gestalten.

Heinevetter: Was waren die Erfolgsfaktoren bei der Transformation? Gab es Pilotprojekte?

Werner: Die Transformation zur Cloud startete als ´Big Bang´ mit Entscheidungen im Top-Down-Ansatz mit strategischer Auswahl und Trainings sowie „Leuchtturm-Projekte“ – für 160 Mitarbeiter. In der Ausprägung unserer Tribes und Chapters sind wir noch in der Aufbauphase – in der ´storming and forming-Phase´ und suchen auch neue Mitarbeiter. Es war und bleibt anstrengend, aber ein wirklich sinnvolles Investment in die Firmenzukunft.

Heinevetter: Was sind Ihre Top 3 Handlungsfelder?

Werner:

  1. Bis Ende des Jahres wollen wir in die Performing-Phase unserer Aufbauorganisation eintreten.
  2. Die schlagkräftigen Teams setzen entsprechende Personal- und Contracting-Konstrukte voraus. Dazu werden auch weitere Mitarbeiter gesucht.
  3. Das Kerngeschäft muss kontinuierlich weiter digitalisiert werden, gleichzeitig sind neue digitale Geschäfte zu realisieren.

Seit April 2020 leitet Dr. Roland Werner als Head of Digital den globalen IT-Bereich beim Eschborner Energiedienstleister Techem. Werner zeichnet dafür verantwortlich, die Produkte und Dienstleistungen der Techem Gruppe mit der Anwendung modernster Digitaltechnik auf die jeweiligen Bedarfe der Kunden und Mitarbeiter zielgerichtet und zukunftssicher auszurichten. Er leitet die Softwareentwicklung sowie den Betrieb auf Cloud und im Rechenzentrum und stellt zusammen mit den Techem Fachbereichen, Softwarespezialisten und der Geräteentwicklung die Weichen für neuartige digitale Produkte und Wertschöpfungsketten. „Digitalisierung ist die wichtigste Basis für unsere Produkte im Bereich Energieeffizienz und Wohngesundheit, für effizientere Prozesse auf allen Seiten und für das Kundenerlebnis insgesamt. Mein Ziel ist es, das Thema Innovation neu zu denken und die Digitalisierungsreise bei Techem deutlich zu beschleunigen“, so Werner. In seiner Position berichtet er direkt an Matthias Hartmann, CEO bei Techem. Der promovierte Informatiker kommt von IBM. Zuvor bekleidete er nationale und internationale IT-Positionen bei der GfK Marktforschung und der PwC Unternehmensberatung.

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